Wie stelle ich eine Delay-Line ein?

Was ist eine Delay-Line und wann brauche ich eine?

Delay-Lines findet man häufig in Kirchen, bei großen Open-Air-Festivals und in langen Hallen oder Festzelten. Sie werden verwendet, um ein Signal aufzufrischen und somit das Hauptsystem zu unterstützen. Je weiter man sich vom Hauptsystem entfernt, desto mehr nimmt der Diffusschall-Anteil des Signals zu. Darunter leidet beispielsweise besonders die Sprachverständlichkeit.

Diffusschall ist der Schall, der im Gegensatz zum Direktschall bei seinem Eintreffen am Hör- oder Messort bereits mehrere Reflexionen erfahren hat.

Raumschall – Wikipedia
Delay-Tower bei Rock am Ring 2019 – Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license

Um diesem Problem entgegenzuwirken nutzt man das Prinzip einer sogenannten Delay-Line. Man stellt in einiger Entfernung zum Hauptsystem weitere Lautsprecher auf. Einen genormten Abstand hierfür gibt es nicht. Dieser ist Abhängig von der Umgebung und dem Zweck der Delay-Line.
In einer Kirche werden in der Regel kleine Abstände (z.B. 10 Meter) verwendet, um eine geringere Gesamtlautstärke zu erzielen, da diese nur noch zu mehr Diffusschall führt.
Bei großen Open-Airs kann die Entfernung vom Hauptsystem bis zur Delay-Line einige dutzend Meter betragen.
Ich lege die Abstände neben einer vorherigen Simulation auch durch Erfahrungswerte fest.

Was ist bei der Einrichtung einer Delay-Line zu beachten?

Hat man nun das System geplant und aufgebaut, geht es ans Einrichten. Neben einer sinnvollen Ausrichtung der Lautsprecher in Wirk-Richtung des Hauptsystems, müssen die Delay-Lautsprecher auf das Hauptsystem verzögert werden. Wenn man die Delay-Lautsprecher nicht zeitlich verzögert, würde man das Signal hinter den Lautsprechern als Echo wahrnehmen, da beide Lautsprecher das Signal zeitgleich ausgeben. Neben diesem Echo würde es zu Auslöschungen und Überbetonungen im Frequenzbereich bei der Wiedergabe kommen, da Frequenzen sich zeitlich versetzt überlagern.

Ein gut eingestelltes Delay bedeutet allerdings nicht nur eine passende Verzögerung für die Delay-Lautsprecher, sondern auch einen angepassten Phasenfrequenzgang von Hauptsystem und Delay-Line, was hier jedoch nicht weiter vertieft werden soll.
Einen angepassten Phasenfrequenzgang erreicht man ohne Mess-Equipment am besten dadurch, dass man sowohl Hauptsystem als auch Delay-Line mit den Komponenten eines Herstellers ausstattet, der auch passende DSP-Verstärker mit den entsprechenden Presets bereitstellt.

Wird die Verzögerung für die Delay-Line gemessen bezieht sich diese Messung immer nur auf einen konkreten Punkt, an welchem die eingestellte Verzögerung perfekt passt. Eine ideale Verzögerung für jeden Platz im Zuhörer-Bereich ist somit physikalisch unmöglich zu erzielen und in jedem Fall nur ein guter Kompromiss.

Ob eine Delay-Line mit einem Mono- oder mit einem Stereo-Signal versorgt werden soll, kann man nicht pauschal beantworten. Hier ist, wie so oft, die konkrete Beschallungs-Situation und die Umgebung entscheidend.


Delay-Line einrichten mit Laser-Distanzmesser

Nachdem alles aufgebaut ist stellen wir uns mit einem Laser-Distanzmesser an den Punkt in der Zuhörer-Fläche, von dem aus der größtmögliche, sinnvolle Abstand von Hauptsystem und Delay-Line zur Messposition besteht. Von dort aus messen wir auf der späteren Kopfhöhe der Zuhörer die Distanz zum Hauptsystem und anschließend die Distanz zur Delay-Line. Im Anschluss subtrahieren wir die Distanz zur Delay-Line von der Distanz zum Hauptsystem. Das aus dieser Rechnung resultierende Ergebnis multiplizieren wir mit dem Faktor 3 (Rundungswert) und erhalten die Verzögerung in Millisekunden. Diesen Wert können wir dann in den Controller oder den DSP-Verstärker für die Delay-Lautsprecher eintragen. Viele von diesen Systemen bieten außerdem die Möglichkeit die Verzögerung im Ausgangskanal in Metern einzugeben.

Wer genauer werden möchte rechnet mit folgender Formel:

[Verzögerung für die Delay-Line in Millisekunden] = [Entfernung in Metern] / (331,4 + 0,6 * [Temperatur in Grad]) * 1000

Delay-Line einrichten mit Messsoftware (SATlive)

Ich nutze für meine Messungen SATlive von Thomas Neumann. Ein Link zur Software ist am Ende des Artikels zu finden.

Zunächst richtet man das Mess-Setup ein. In meinem Fall stecke in mein Messmikrofon in den ersten Eingang des USB-Audiointerfaces und den vorher definierten Ausgang des Interfaces via XLR auf das Mischpult auf. Hierbei ist zu beachten, dass im ganzen Signalpfad am Mischpult alle Delays ausgeschaltet sind oder während der ganzen Messung auf dem gleichen Wert verbleiben.

Das Messmikrofon platziere ich in der Regel an einem repräsentativen Ort in der Zuhörer-Fläche, an welchem der größtmögliche, sinnvolle Abstand von Hauptsystem und Delay-Line zur Messposition besteht. Das Messmikrofon stelle ich in etwa auf Ohr-Höhe der Zuhörer. Für das Time-Alignment wird prinzipiell zunächst nicht zwingend ein Messmikrofon benötigt, da es bei dieser Messung im ersten Moment nur um die Ankunftszeit des Signals geht – das kann jedes Mikrofon.


Das Test-Setup

Aufgrund der Corona-Situation wird das Lautsprecher-System über einen DSP-Controller simuliert. Das bringt den Vorteil mit sich, dass auf die Messungen keine Umgebungsgeräusche als Stör-Einflüsse einwirken können. Alle Schritte beim Time-Alignment einer Delay-Line funktionieren natürlich genauso bei einem richtigen System.


Messung des Zustandes vor dem Time-Alignment

Als nächstes starten wir das Rosa-Rauschen in SATlive und geben dieses auf eine Seite des Hauptsystems (z.B. Main L), danach pegeln wir das Messmikrofon ein. Die ersten beiden Messungen sind für die Messung des Delays nicht zwingend erforderlich, aber sollen die Problematiken einer unverzögerten Delay-Line zeigen.

Für die erste Messung habe ich im MAT-Modul die Übertragungsfunktion ausgewählt. Mit der Tastenkombination Strg+D legen wir fest, dass das Hauptsystem unsere „Zeit 0“ ist, auf die wir unsere Delay-Line anpassen möchten.

1. Messung: Messung des Hauptsystems ohne Delay-Line.
1. Messung: Messung des Hauptsystems ohne Delay-Line.

Die zweite Messung zeigt was passiert, wenn das Hauptsystem und die noch unverzögerte Delay-Line zusammen eingeschalten werden. Auch hier nehmen wir nur eine eine Seite der Delay-Line (in unserem Fall die Linke).
Es bilden sich deutliche Kammfilter-Effekte.
Der Kammfilter-Effekt entsteht bei der Überlagerung von zwei weitestgehend identisch klingenden Signalen, wobei eines kurz verzögert ist. Diese Kammfilter-Effekte sind deutlich in Form von Überbetonungen und Auslöschungen in verschiedenen Frequenzbereichen zu hören.

2. Messung: Deutliche Kammfilter-Effekte sind zu sehen.
2. Messung: Deutliche Kammfilter-Effekte sind zu sehen.

Messung der Impulsantwort in SATlive

Immer noch im MAT-Modul rufen wir jetzt die Mess-Art „Impulsantwort“ auf. Für die Messung nutzen wir den „Delayfinder“. Danach schalten wir wieder die eine Seite des Haupsystems ein und klicken auf „Suchen“. Auf der linken Seite wird im Anschluss das gefundene Delay, die daraus errechnete Entfernung und die Polarität des Signals angezeigt. Bei der Entfernung handelt es sich nicht um die reale Entfernung, da wir logischerweise auch die Verarbeitungsdauer des Signals in Digitalpult oder DSP-Amps mit messen. Den Wert können wir auf der rechten Seite des Fensters in der Delay-Matrix speichern. Hauptsystem und Delay-Line müssen immer die gleiche Polarität haben, da es sonst zu Auslöschungen kommt.

3. Messung: Messung der Impulsantwort von einer Seite des Hauptsystems.
3. Messung: Messung der Impulsantwort von einer Seite des Hauptsystems.

Nun schalten wir das Hauptsystem aus und die zugehörige Seite der Delay-Line ein. Hier klicken wir im „Delayfinder“ erneut auf „Suchen“. Die resultierende Zeit speichern wir unter einem anderen Speicherplatz ab.

4. Messung: Messung der Impulsantwort von einer Seite der Delay-Line
4. Messung: Messung der Impulsantwort von einer Seite der Delay-Line

Die Verzögerung, die wir für unsere Delay-Line einstellen müssen ergibt sich, wenn wir die Zeit „Delay“ von der Zeit „Front“ abziehen:

30,92 ms - 8,73 ms = 22,19 ms
Übersicht über die Messungen im Delayfinder.
Übersicht über die Messungen im Delayfinder.

Messung des Zustandes nach dem Time-Alignment

Zum Schluss überprüfen wir nochmals mithilfe der Übertragungsfunktion, ob unser Time-Alignment erfolgreich war. Hierfür schalten wir erneut die eine Seite des Hauptsystems, sowie die zugehörige Seite der Delay-Line ein. Im Screenshot ist zu sehen, dass die Kammfilter verschwunden sind – unser Time-Alignment war erfolgreich.

5. Messung: Verifikation des Time-Alignments im MAT-Modul.
5. Messung: Verifikation des Time-Alignments im MAT-Modul.

Dies ist nur eine Möglichkeit von vielen, welche SATlive bietet, um eine Delay-Line einzustellen. Mit anderen Methoden kommt man genauso zum Ziel. Diese Methode ist allerdings die, die ich mir für die Messung von Delay-Lines angewöhnt habe.


Pegel der Delay-Line

Der Pegel einer Delay-Line ist abhängig vom konkreten Ziel der Delay-Line. Soll das Hauptsystem gestützt werden, stellen wir ein Messmikrofon mit einem Schallpegelmesser an einen repräsentativen Ort hinter der Delay-Line im Zuhörer-Bereich. Nun schalten wir das Hauptsystem an und geben ein Rosa-Rauschen aus. Wir erhöhen die Lautstärke bis etwa 85 dB(a). Danach schalten wir das Hauptsystem aus und die Delay-Line ein. Bei dieser steigern wir die Lautstärke, bis etwa 85 dB(a) oder etwas weniger erreicht sind. Alternativ kann man dafür auch das eigene Gehör nutzen und die Lautstärke der Delay-Line nach eigenem Geschmack einstellen.

Soll die Delay-Line Pegel aufholen, kann diese auch 8 – 10 dB(a) lauter als das Hauptsystem am Messpunkt hinter der Delay-Line sein. Dafür muss die Verzögerung natürlich korrekt eingestellt sein.


Haas-Effekt

Helmut Haas fand heraus, dass wir die Schallquelle aus der Richtung orten, von der der Schall zuerst bei uns eintrifft. Diese Erkenntnisse finden sich im Gesetz der ersten Wellenfront wieder:

Trifft das gleiche Schallsignal zeitverzögert aus unterschiedlichen Richtungen bei einem Hörer ein, so nimmt dieser nur die Richtung des zuerst eintreffenden Schallsignals wahr.

Präzedenz-Effekt – Wikipedia

Wollen wir nun erzielen, dass die Ortung der Schallquelle das Hauptsystem und nicht die Delay-Line ist, so können wir auf die Verzögerung des Delays 10 – 30 ms dazu addieren.
Ob man diesen Effekt nutzen möchte oder nicht, hängt genauso wie die anderen Aspekte dieses Themas von unserem Ziel der Beschallung ab. Im Zweifel hilft immer das Ausprobieren und hören, was einem besser gefällt.

Wenn ich mehr als eine Delay-Line im System nutze, verzichte ich auf den Haas-Effekt. In diesem Fall ist es schwierig bis unmöglich eine ordentliche Ortung nach dem Gesetz der ersten Wellenfront zu nutzen.


Fazit

Delay-Lines sind aus dem Beschaller-Alltag fast nicht mehr wegzudenken. Über die „korrekte“ Ausführung lässt sich viel diskutieren, da eine Verzögerung immer nur einen Kompromiss darstellt, der für die größtmögliche Menge an Zuhörern funktionieren soll. Zu guter Letzt möchte ich festhalten, dass wir neben all den technischen Hilfsmitteln das wichtigste Werkzeug immer zur Überprüfung der getätigten Einstellungen verwenden müssen: Unser eigenes Gehör!


Weiterführende Links und Quellen:

Delay-Line bei 13db: Delay Line – 13db Audio Knowledge
Diffusschall: Raumschall – Wikipedia
Haas-Effekt: Der Haas Effekt | SOUND & RECORDING (soundandrecording.de)
Kammfilter-Effekte: FAQ: Was ist der Kammfiltereffekt? – delamar
Gesetz der ersten Wellenfront: Präzedenz-Effekt – Wikipedia

Laser-Distanzmesser: GLM 50 C Professional | Bosch (bosch-professional.com)
SATlive (genutzte Version: 1.70.72.04): SATlive Audiomesssoftware